Seufzende Raben [mp3]
Im Frühjahr oder Sommer 2003 treffe ich in der Rheinstraße in Bregenz, etwa auf der Höhe des Uniqa-Gebäudes, ich bin gerade auf dem Weg ins Metrokino, den Künstler Uwe Jäntsch. In seiner direkten Art begrüßt er mich und sagt mir ebenso direkt, dass er ziemlich dringend 10 Euro braucht. Selbstverständlich bin ich bereit, ihm ohne Bedingungen 10 Euro zu geben, aber er besteht darauf, mir dafür eine CD mit dem Titel Liebhaben zu überlassen. Auf dem Cover ist Adolf Hitler abgebildet. Er lächelt schräg aus einer dieser grellfarbigen Postkartenansichten, aufgenommen vermutlich am Obersalzberg. Er ist in Zivil, mit Hut, zwei arische Kinder, der Bub perfekt blond gescheitelt, das Mädel etwas größer, dunkelhaarig und unschuldig, wenngleich irgendwie beschämt lachend, vermutlich weil die Hand Hitlers von hinten kommend auf ihrem noch nicht vorhandenen Busen liegt. Alle drei sind volkstümlich gekleidet, schräg hinter dem Mädel steht ein gnomartiger SS-Mann, sicher prominent, aber ich kenne mich da nicht so aus. Ich bedanke mich herzlich für die CD, denke bei mir, typisch Jäntsch, und wir verabschieden uns. Die CD verräume ich zu Hause in meinem CD-Regal, wo sie, weil nur in einer flachen Kartonhülle steckend, zwischen anderen CDs unsichtbar verschwindet und erst vor ein paar Monaten, anlässlich meines Umzugs, wieder auftaucht, natürlich ungehört. Bis heute. Denn heute legte ich sie im Zuge meiner Suche nach interessanten Aufnahmen für die Website des Literaturradios in den Player meines Computers und entdeckte Erstaunliches, nämlich Songs der Allroundkünstlerin Bella Angora, die damals noch unter ihrem bürgerlichen Namen Sandra Dorner auftrat. Außer den Titeln der 10 Musikstücke, fand ich nur noch den Satz: sandradorner ist lieb und uwejäntsch haben (OKE 2003) auf der Rückseite der CD-Hülle, deshalb kann ich hier nichts Näheres über die Produktion sagen, ich gehe aber davon aus, dass die Musik von Dorner und die Idee zur irritierenden CD-Grafik inklusive Gestaltung des Schriftzuges Liebhaben (verschmierte Kinderschrift auf stachelig gelbem Untergrund) von Jäntsch stammen. Alle 10 Songs sind geprägt von intensiver Monotonie. Sandra Dorner intoniert die teils deutschen, teils englischen Texte in der Art einer psychedelisierten Kate Bush, vor dem Hintergrund eines billigen, an den Rändern ausgefransten und deshalb ideal harmonierenden Industrial Sound. Als Beispiel habe ich allerdings das acapella-Stück Seufzende Raben ausgewählt, (Background-Vocals Uwe Jäntsch?), einerseits, weil das hier ja eigentlich kein Musik-, sondern ein Textarchiv ist und andererseits, weil der Rabe (Kolkrabe wenn möglich) jenes Tier ist, als das ich gerne wiedergeboren würde, und nicht als Adler wie andere, weniger bescheidene Dichter, obwohl der Rabe lange nicht so gut beleumundet ist wie der Adler, aber dafür umso intelligenter. Raben verstecken auch gerne Dinge irgendwo, um sie später, in weniger fetten Zeiten, wieder hervor zu holen, wobei sie manches nur zufällig und anderes überhaupt nicht mehr finden, was ich gut nachvollziehen kann.
Seufzende Raben [mp3]
Informationen zu Bella Angora (Sandra Dorner) [hier]
Informationen zu Uwe Jäntsch [hier]