Wie man verschieden Geräusche erzeugen kann (Ausschnitt) [mp3]
BESPRECHUNG TEIL 1
Im Jänner 2009 wäre der österreichische Schriftsteller und Maler Helmut Eisendle 70 Jahre alt geworden. Am 20. September 2003 starb er in Wien. Aus diesem Anlass präsentieren wir den Ausschnitt aus seinem Hörspiel Wie man verschieden Geräusche erzeugen kann, das 1984 vom SFB (Sender Freies Berlin) aufgenommen wurde und 2005 bei Preiser Records, (produziert zusammen mit dem rbb - Rundfunk Berlin Brandenburg) auf CD erschienen ist.
Das Hörspiel ist ein als Diskussion von fünf Experten inszenierter Essay über Sinn und Unsinn der Unterscheidung zwischen U- und E-Musik bzw. zwischen Klassik und Moderne. Das klingt nach einer trockenen Angelegenheit, ist es aber nicht. Zum einen, weil Eisendles Text zwar wissenschaftlich fundiert aber vor allem auf geistreiche Art polemisch ist, zum anderen, weil alle fünf Rollen von Helmut Qualtinger gesprochen bzw. dargestellt werden und damit alles, was die Experten von sich geben, in jeder Sekunde kabarettistisch zugespitzt und damit witzig ist. Zum Witz trägt auch der Umstand bei, dass es sich nicht nur um einen Streit um inhaltliche Positionen handelt, sondern auch um das Aufeinanderprallen von preußischer Schärfe und Wiener Nuschelei, zumal zwei der Experten (der Musikwissenschaftler Professor Wagner und der Kenner der Klassik Professor Hoffmann) österreichischer, und die drei anderen (der Geräuschemacher Herr Haller, der Psychologe Mag. Müller und der Verteidiger der Moderne Dr. Katschmüller oder Watzknüller oder so ähnlich, der Name wird von Qualtinger bis zuletzt vernuschelt) deutscher Provenienz sind.
Zum echten Hörstück wird das Ganze allerdings erst durch die vielen akustischen Beispiele. Sie reichen von Geräuschen, die Papier oder Wind erzeugen, über eine erstaunliche Umsetzung der Geräuschklassen, die der italienische Musiker und Maler Luigi Russolo Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte, bis hin zu Beethovens letztem Klavierwerk oder Erik Saties postklassischen Miniaturen.
Im Ausschnitt, der hier zu hören ist, versuchen die diskutierenden Wissenschaftler einen Vergleich anzustellen zwischen dem, was schwer vergleichbar ist, und zitieren zu diesem Zweck Tomaso Albinoni mit seinem Adagio in g-Moll (von Eisendle wohl in ironischer Absicht gewählt, weil es sich einerseits um eines der bekanntesten Werke der „Barockmusik“ handelt, andererseits um eine „Fälschung“ des italienischen Musikers und Musikwissenschaftlers Remo Giazotto aus dem Jahr 1958), dann John Cages berühmtes Stück 4:33’ und vor allem und am interessantesten Bacu: Symphonie der Sirenen vom russischen Avantgardisten Arsenij Avramov (1886-1944), in der nicht nur Sirenen, sondern auch Geschützfeuer, Granateinschläge und das Singen und Marschieren von Sodaten eine Rolle spielen.
Man kann Label und Produzenten nur dankbar sein für die Veröffentlichung dieses ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Stücks Hörliteratur. Dass im Booklet neben den Lebensläufen von Eisendle und Qualtinger, auch (nur) die von John Cage und Luigi Russolo enthalten sind, ist zwar logisch nicht ganz nachzuvollziehen aber dennoch ein guter Service. Allerdings fehlen leider Informationen über die Quellen, aus denen die genannten Musikbeispiele bezogen sind. Bei John Cage könnte es die oder eine der Originalaufnahmen sein, bei der Sirenensymphonie klingt es eher nach selbst, wenngleich für die 1980er-Jahre gar nicht schlecht gemacht. Diese Informationen sollte man in einer eventuellen Neuauflage der CD ergänzen.
BESPRECHUNG TEIL 2
Kurz vor Weihnachten 1994, und damit berichte ich von meinem persönlichen Jubiläum im Zusammenhang mit dem österreichischen „Szientisten“ Eisendle, kam es zu einer zufälligen Begegnung, an die er sich, auch wenn er noch am Leben wäre, ganz sicher nicht erinnern könnte, denn er war an diesem Abend in Diskussionen mit dem Wirt jenes Wiener Lokals in der Bäckerstraße verwickelt, in dem wir uns zur selben Zeit aufhielten. Es ging, soweit ich es aus der Ferne beurteilen konnte, um Geld, das irgendeiner dem anderen schuldete, und mir schien Eisendle moralisch, der Wirt jedoch, was die Fakten anging, nach Punkten in Führung zu liegen. In der allgemeinen atmosphärischen Verbindlichkeit, die um die Weihnachtszeit herum gewöhnlich herrscht, wurde der Streit zum gemeinsamen Gesprächsthema aller, die sich im Lokal befanden, besonders zwischen denen, die Eisendle und damit die wahren Ursachen des Streits zu kennen glaubten. So bekam ich also mit, dass Eisendle der Meinung war, er müsste in diesem Lokal genau genommen überhaupt nichts bezahlen, da er ein wichtiger und treuer Stammgast sei und außerdem Urheber der an den Wänden des Lokals ausgestellten Bilder, von denen er einige dem Wirt schon geschenkt habe, was den Wert der paar Gläser, die er hier bisher getrunken habe und vor allem je in der Lage sein werde, noch zu trinken, bei weitem übersteige. Und dann wurde ich Zeuge jenes Vorgangs, der zum eigentlichen Kern meiner Erinnerung geworden ist, nämlich, dass Eisendle sich erhob, zur Wand ging, eines dieser Bilder abnahm, es ohne besondere Rücksicht aus dem Rahmen löste und das Blatt einem Mädchen – Anfang zwanzig, strohblond, hellhäutig, nur die Wangen von all den Blicken, die auf ihrem hübschen Gesicht und ihrer elastischen jungen Gestalt den ganzen Abend über gehangen hatten, herausfordernd und gleichzeitig unschuldig gerötet – einfach schenkte, und daraufhin das Lokal, eher gelangweilt als beleidigt, und mit vom Wein, den er getrunken hatte, nicht mehr ganz sicheren Schrittes, allerdings nicht ohne dem Mädchen noch einmal zuzuzwinkern, in das feuchtkalte, nächtliche Wien hinaus verließ. Neugierig, in welcher Verbindung er zu diesem Mädchen stand, ging ich, ungeachtet der Tatsache, dass sie dort mit zwei mir nicht sonderlichen sympathischen, meiner Ansicht nach überhaupt nicht in ihre Gesellschaft passenden Männern saß, später, bevor ich mich ebenfalls auf den Heimweg machte, an ihren Tisch und erfuhr bei dieser Gelegenheit einerseits, dass sie Eisendle vorher auch noch nie begegnet war, und konnte andererseits einen Blick auf das Bild werfen. Es stellte einen vermutlich südsteirischen Weinberg, das dazugehörige Winzergebäude und im Vordergrund ein umgestürztes gewöhnliches Buschenschankachtelglas dar, dessen Inhalt – ganz sicher echter Rotwein – eine Pfütze bildete, die als Teil des Bildinhalts, als Teil des Farbmaterials und als authentische Verschmutzung des Papiers und damit Teil der Realität des Raumes, in dem es bis vor ein paar Minuten noch hing, über den linken unteren Rand des Bildes hinaus gelaufen war, und über allem stand der von Hand geschriebene Satz: „Der beste Wein lügt, wenn Eigennutz das Zünglein lenkt.“ Und ich dachte ganz spontan: 'Fröhliche Weinachtl, Herr Eisendle'. Ja, so in etwa war das.
Wie man verschieden Geräusche erzeugen kann (Ausschnitt) [mp3]
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