Raimund Jägers Roman Listen ist dieser Tage beim Verlag Skarabäus, Innsbruck, erschienen. 2008 wurden bereits Teile des Manuskripts mit dem Vorarlberger Landesstipendium für Literatur ausgezeichnet, deshalb durfte man gespannt sein, ob die Qualität des Ganzen diese Vorschusslorbeeren rechtfertigen würde. Fazit nach der Lektüre: Die Entscheidungen, sowohl die der Jury der Literaturkommission, als auch die des Verlags, das Debüt Jägers ins Programm zu nehmen, waren richtig.
Trotz vieler Figuren und komplexer Vorgänge, ist die Verzahnung der verschiedenen Handlungsebenen gelungen. Alles hat seine Ordnung. Den Hauptstrang bildet das Leben des Protagonisten Rochen von der Kindheit bis heute, die Nebenstränge sind bevölkert von den Menschen, die Rochen mag, nicht mag oder nicht bzw. noch nicht zuordnen kann. Grob gesprochen haben wir es mit einer Ansammlung von Freaks zu tun, eingebettet in die Biographie eines Oberfreaks. Listen ist zweifellos eine Satire, doch Jäger überdreht die Schraube zum Glück nicht. Und weil er Sprache und Handlung weitgehend auf dem Teppich hält, gelingen ihm erstaunlich witzige und dabei dezente Schilderungen eigentlich ungustiöser Akte wie zum Beispiel jugendlicher Demütigungsrituale, pseudoästhetischer Selbstverstümmelungen oder diverser sexueller Perversionen.
Voraussetzung für dieses stilistische Understatement ist die Haltung des Protagonisten. Mit Rochen ist Raimund Jäger die Erfindung einer Figur gelungen, die trotz ihres sperrigen Charakters - gekennzeichnet durch einen betont sachlichen und unsentimentalen Blick und vor allem die akribische Zerlegung der Welt in listenförmige Kategorien - zur Identifikation taugt. Mehr noch, es ist gerade diese zunächst noch zwanghaft anmutende Definierungs-, Sortierungs- und Bewertungswut, die uns nach und nach Vertrauen zu Rochen schöpfen lässt. Die gnadenlose Gelassenheit, mit der er seine Einschätzungen aneinanderreiht, lässt kaum Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit zu. Rochen argumentiert lakonisch, uneitel und intelligent, in seinem Listenuniversum ist man sowohl gut unterhalten als auch sicher aufgehoben. Im Wesentlichen geht es um die Konstruktion eines tragfähigen Rasters für die übersichtliche Anordnung von Eindrücken, Handlungen und Gefühlen. Ohne die Befolgung dieser Regeln ginge Rochen verloren, denn nichts würde seine Existenz mehr gefährden als emotionale Willkür. Sein Erfolg ist Beweis für die Richtigkeit der Methode. Stünde nicht Roman auf dem Umschlag, das Buch wäre bei den Ratgebern gut untergebracht. Maximale Psychohygiene durch radikale Ordnung, rät Rochen, und führt vor, dass sowohl große Zuneigung die Form einer Liste annehmen kann, wie jene von den verschiedenen morgendlichen Mundgerüchen seiner Geliebten, aus denen er auf den Inhalt ihre Träume schließt, als auch die Notwendigkeit zu entscheiden, wen von den Menschen, deren Existenz einflussreich auf das eigene Leben war, man nun belohnen oder bestrafen muss.
Was man dem Roman vorwerfen könnte, wäre, dass er eigentlich keiner ist, sondern mehr eine Aneinanderreihung von lose verklammerten Episoden. Aber möglichst schnelles Abhaken gehört nun einmal auch zum Wesen der Liste und wir kommen so in den Genuss von rasanten und unzweideutigen Kapitelenden wie zum Beispiel dem über die Hinterlassenschaft seiner Eltern: „Die Truhen und ihr Inhalt rochen modrig und nach dem Gegenteil von Kindheit. Rochen verbrannte sie, tränenlos“, und wir erleben, wie nebenbei, den überraschend tragischen Plot.
Listen (Auszüge) [mp3]
Raimund Jäger [Info]